Perfekte Anästhesisten

Betäuben für den Nachwuchs - die Schmuckgrabwespe Dinetus pictus

Durch Gift gelähmt, zu keiner Bewegung fähig, eingegraben in der Erde, hilflos darauf wartend, lebendig verspeist zu werden... Nein, wir sind in keinem Horrorfilm. Das ist die Gefahr, die den Nymphen der Ameisensichelwanze täglich durch ihren ärgsten Feind droht: der Schmuckgrabwespe. Die vermeintliche Grausamkeit ist eine perfekte Methode, um den Wespenlarven einen optimalen Start ins Leben zu bieten.

Als Bewohner von trocken-heißen Sandflächen und Grasfluren ernähren sich sowohl das Männchen als auch das Weibchen der Schmuckgrabwespe (Dinetus pictus) vom Nektar verschiedener hitze- und trockenheitsverträglichen Pflanzen wie Berg-Sandglöckchen (Jasione montana) oder Sand-Strohblume (Helichrysum arenarium).

Für die Versorgung ihrer Nachkommen stellt das Dinetus-Weibchen die rein vegetarische Ernährungsweise um: Zwischen bodennahen Gräsern und Krautpflanzen in der Nähe ihres Brutplatzes erbeutet sie nun vorwiegend Sichelwanzen der Gattung Nabis und vor allem die Larven der Ameisensichelwanze (Himacerus mirmicoides), denen sie auch ihren zweiten Namen verdankt: Sichelwanzen-Grabwespe.

Perfekte Anästhesisten

Wie alle Grabwespenarten tötet das Dinetus-Weibchen seine Beute nicht. Mit ihrem Hinterleibsstachel injiziert die Wespe ein Gift in ihr Opfer, das in Sekundenschnelle zu einer vollständigen Lähmung führt. Anschließend bringt das Wespenweibchen die narkotisierte Wanze fliegend, mit der Bauchunterseite in Längsrichtung unter die eigene Körperunterseite gedrückt, zum Nest. Gehalten wird das Beutetier nur durch die beiden Vorderbeine der Jägerin. Gleichzeitig werden eine oder beide Antennen mit den Kiefernzangen ergriffen.

Das Nest ist ein sechs bis sieben Zentimeter langer Gang mit mehreren, seitlich angelegten Larvenkammern. Nach seiner Fertigstellung hatte ihn das Weibchen mit wenigen Scharrbewegungen an der Bodenoberfläche verschlossen und sich sofort auf die Jagd begeben.

Ohne die erbeutete Wanze mit ihren Kiefernzangen loszulassen, versucht das Grabwespen-Weibchen in der Regel, den Eingang möglichst schnell durch Scharren mit den Vorderbeinen zu öffnen. Nur wenn dies nicht gelingt, legt es die Nahrung seitlich ab, um sie nach erfolgreicher Nestöffnung erneut zu greifen und rückwärts einzuziehen.

Im Inneren des Nestes zerrt die Wespe die regungslose Wanze in eine Larvenkammer, legt ein Ei und heftet es an die Brust der auf dem Rücken liegenden Beute. Anschließend trägt sie weitere Wanzen ein, bis die Larvenkammer gefüllt ist. Die übrigen Kammern werden in gleicher Weise mit mehreren Wanzenlarven und einem Ei, angeheftet an die jeweils erste eingetragene Wanze, bestückt.

Ein Nest im Sand - perfekte Anpassung!

Hat das Grabwespenweibchen alle Larvenkammern verproviantiert, verschließt es das Nest endgültig. Mit den Vorderbeinen scharrend, löst es zunächst im Inneren des Nestes Sand von den Nestwänden und stopft ihn in die Eingangsröhre. Dann kratzt es an der Bodenoberfläche um das Nest herum Sand in Richtung Nesteingang und verschließt ihn vollständig. Zuletzt wird der Oberflächensand im Eingangsbereich breit verteilt, um es feindlichen Parasit-Insekten zu erschweren, optisch oder über Geruchsstoffe den genauen Eingang im Boden zu lokalisieren. Dann sucht das Dinetus-Weibchen einen neuen Standort, um ein weiteres Nest zu graben. Wie viele Nester ein einzelnes Weibchen insgesamt erstellt, ist unbekannt.

In den Larvenkammern schlüpft nach wenigen Tagen aus dem jeweiligen Ei eine kleine Wespenlarve. Sie frisst den gesamten eingetragenen Beutevorrat auf und verpuppt sich. Die Entwicklung der Wespe vom Ei bis zur Puppe verläuft verhältnismäßig rasch und ist in der Regel bereits nach wenigen Tagen abgeschlossen. Gefahr droht der kleinen Larve in ihrem Nest vor allem durch die Verpilzung oder Austrocknung des Nahrungsvorrates; das würde den Tod der kleinen Larve bedeuten.

Dem steuert das Grabwespen-Weibchen entgegen, indem es die erbeuteten Wanzen nur lähmt. Dadurch bleiben die Stoffwechselfunktionen der Beutetiere intakt, unter anderem auch deren körpereigene Funktionen des Verdunstungsschutzes. Ohne diesen Schutz würden die ruhenden Wanzen in den Larvenkammern bereits innerhalb weniger Stunden unweigerlich austrocknen und damit ihren Nährwert für den Wespennachwuchs verlieren – eine sehr raffinierte, aber auch überlebenswichtige Strategie der Grabwespe, die damit ihrer Nachkommenschaft für deren erste Lebensschritte einen der heißesten Lebensräume unserer Region erfolgreich erschließt!

Lesen Sie die komplette Reportage in MAKROFOTO Nr. 5!